Los: 444
Leinberger, Hans, Werkstatt
Anna selbdritt (Relief). Altbayern, um 1520. Anna übernimmt als Standfigur, nahezu lebensgroß, die Rolle als Beschützerin von Maria und dem Jesuskind. Maria hält einen Granatapfel sowie eine Blüte in Händen. Das Relief entstand in der Zeit, als Hans Leinberger für den Landshuter Hof unter Herzog X. tätig war. Lindenholz, übergangene Farbfassung. Besch., rep. 140 x 55 cm.
Die Oma vom lieben Gott wird’s schon schaukeln
Kinder sind im Auktionshaus Ruef keine zu sehen. Beinahe wie in der Kirche: einige ältere Damen und Herren, die leise miteinander tuscheln, aber keine umhertollenden Buben und Mädchen. Und doch stellt gerade jenes Bild, vor dem die andächtige Kunstgemeinde sich versammelt, den tollsten Kinderspielplatz aller Zeiten vor: Omas Knie! Die bekanntesten unter allen Großmüttern hat Anna, auf den auf ihnen reiten Gottes Sohn und seine Mutter Maria. Anna Selbdritt heißt diese Darstellung vor der die Menschen des Mittelalters voll Vertrauen beteten. Alle – selbst Martin Luther in seiner Angst, vom Blitz erschlagen zu werden – wussten: Eine Frau, die vor dem lieben Gott nicht auf die knochigen Knie geht, sondern ihn darauf einen lustig-holprigen Platz einnehmen lässt, kann alles schaukeln. Die Frömmigkeit schuf großartige Bilder über die Größe der Großmutter Jesu. Auch auf dem Relief, vermutlich um 1520 geschaffen, überragt die alte Dame die beiden anderen Gestalten: Maria geht ihr entgegen, Jesus dagegen sitzt ihr im Nacken. So muss man es sagen, denn seine kleine Hand wendet den steifen Hals der strammen Schrittes marschierenden Dame in die richtige Richtung. Was ist das für ein Bub? Zunächst wie alle anderen: nah dran an der Oma, weil es da immer Geschichten oder Süßigkeiten gibt, manchmal Trost, manchmal Trost und Zuspruch, wenn Tränen fließen. Vater und Mutter müssen erziehen, die Oma muss in ihrem Alter gar nichts mehr und darf verwöhnen und trösten. Und wenn keiner mehr weiter weiß, hat sie immer den besten Rat, zumindestens das letzte gute Wort. Was Jesus will, hat der Großmutter sicherlich nicht geschmeckt. Seine Hand deutet auf das Kreuz, das die Falten bilden. Sein Leiden und Sterben, sitzt ihr im Nacken, wie das Grab des anonymen Soldaten, das die Alten vorraussahen als die Jungen in den Krieg zogen. Der kleine Knirps zeigt seiner Ahnherrin den Weg auf diesem Votivbild – daher eigentlich Motivationsbild der Nachfolge Christi. Die gleichnamige Schrift genießt zur Zeit der Entstehung des Reliefs weite Verbreitung als „devotio moderna“, moderne Frömmigkeit. Tun, nicht reden oder gar nur „ah“ oder „oh“ vor Mutter Anna sagen. Mal mit dem Herzen denken. Alle Omas dieser Welt wissen das, aber wohl keine besser als die, die den lieben Gott auf die Schulter nehmen durfte .Weisheit des Alters wieder wie Kinder zu werden, die ja im Himmelreich – dahin geht die Lebensreise – die Größten sind. Noch geht Maria einen anderen Weg. Sie kommt aus Jerusalem, wo sie – so das Thema eines alten Marienfestes – im Tempel erzogen wurde. Nicht mehr Kind kommt sie nach Hause und hält doch die Blüte hoch an die Leibesmitte der Mutter. „Nichts ist passiert in der großen Stadt!“ – „Ich weiß.“ sagt die Hand Annas. Jungfräulich blühend und doch – in ihrer Linken hält sie einen Granatapfel – schon im Leib Frucht tragend, kommt Maria vom „Haus des Vaters“! ihres Kindes heim ins Elternhaus. Ihr Verlobter Josef weiß noch nichts, Anna wahrscheinlich auch nicht – die Frucht bleibt hinter dem Kleid versteckt – oder hat es ihr auch ein Engel im Traum gesagt? Maria wird den Schritten des Sohnes folgen und mit ihm nach Jerusalem gehen. Annas Blick – wie alle, alle weisen Menschen ihres Alters, scheut sie sich nicht Tod anzusehen, der in Jerusalem auf den Buben wartet. Aus dem Hause Davids kommt er und König ist er, aber sein Thron wird das Kreuz sein. Bei seinem Entritt in die Welt hat es Gottes Sohn gewählt (Hebr 10, 5) und seine Mutter von Anfang an in seinen dunklen Schatten gestellt. Wie Maria unter der langen Tuchfalte, dem Kreuzesbalken. Hier und dort muss sie aufschauen zum Sohn: ihrem Schöpfer, der sie Mamma nennt, ihren Sohn, der blutend nach dem Vater schreit. Destination Jerusalem. Dort wo Abraham Isaak opfern wollte, es aber dann doch nicht tat, steht der Tempel. Dort wird der Sohn sterben; unter den Augen seiner Mutter. Anna willigt ein. Maria weiß es vielleicht noch nicht. Erst nach der Geburt erfährt sie vom Schwert, das ihr Herz durchschneiden wird. Jede Frau, jede Mutter, jede Großmutter wünscht ihrem Kind, ihrem Enkel, der Frucht ihrer Liebe, ihres Leibes, Glück, Gesundheit, ein langes Leben. Jesus hat den Blickwinkel Annas verändert. Er wollte den Tod annehmen, denn – so seine Lehre – nur wenn das Weizenkorn in der Erde untergeht, bricht es auf und bringt Frucht. Der tote Stamm, das von den Römern besetzte Israel, das herschaftslose Haus Davids bringt einen Spross hervor – Maria – und dieser treibt eine Blüte, die Ferucht bringen wird Jesu. Wer genau hinsieht – mit jener Achtsamkeit auf das Kleine und Geringe, das Jesus seinen Jüngern abverlangt – sieht im Relief den alten dürren, unfruchtbaren Stamm, den nach oben rankenden Sproß, an dessen Spitze das Kind thront und die Knospe – gleich wird sie sich öffnen! – die Jesus und Maria umfängt. Ihr Blick würde dem rätselnden Betrachter die Richtung weisen: Voran, aufwärts, über den Tod hinaus, Liebe gebend. Das ist Theologie des Herzens und fromme Kunst, die nie zu künstlicher Frömmigkeit verkommen kann. Mögen viele Beter und Bewunderer dieses Bildes von der Oma des lieben Gottes lernen, wie man mit dem Herzen.
Alles andere schaukelt die hl. Anna.
Dr. Florian Kolfhaus
Süddeutsche Privatsammlung
Zuschlag: 3.800 €
20. Juli 2019 um 10:00